Gemeinsam mit dem Missy Magazin haben Klara Charlotte Zeitz und Robert Deutsch einen Open Call in der Illuklasse  in der Rubrik Banden Bilden gestartet. Nach einem Text der Autorin Hannah Schultes mit dem Titel Vatertante wurden verschiedene Illustrationen eingereicht, die allesamt sehr gut waren. Schließlich wurde Hyunsoo Shin ausgewählt. Die Art Direktion des Missy Magazins besucht uns im Juni in der Klasse.

Vater-Tante

Erst als meine Tante mütterlicherseits verstarb, erfuhr ich, dass für die meisten Menschen eine Tante nur irgendeine nahe Verwandte war. Meine Tante war dagegen mehr wie ein Vater. Sie war nicht nur bei meiner Geburt dabei, meine Mutter und ich wohnten auch die ersten drei Monate nach der Geburt bei ihr. Nach ihrer Arbeit kaufte sie ein, kochte und machte noch den Haushalt. Als kleines Kind filmte sie mich stundenlang mit der Handkamera, später spielte sie in meinen selbst gedrehten Inszenierungen uneitel die Rolle, die ich ihr zuteilte. Beim Besuch auf ihrer Arbeit als Tontechnikerin schien es mir rätselhaft, wie sie in diesem Raum voller Videorekorder, Fernseher und Computer immer genau wusste, welcher Knopf zu drücken war. Nach ihrem Tod hinterließ sie uns etliche Videokassetten, auf denen sie selbst kaum zu sehen war, während sie selbst – still und fast heimlich – Familienszenen festhielt – eine Rolle, in der sie sich selbst am wohlsten zu fühlen schien.

Sie verbrachte wohl viele Stunden auf der Autobahn in ihrer Rolle als Back-Up-Plan, der immer funktionierte, kam zu jedem meiner Geburtstage, betreute mich, als meine Mutter krank war und fuhr mit mir zu Verwandten. Während ich stets dachte, dass sie das alles nur für mich tat, wurde mir mit ihrem Tod erst klar: Auch bei anderen Mädchen aus dem Verwandtenkreis fehlte sie nun als Vertraute und Fürsorgende, bei Geburtstagen, Abschlussfeiern, Umzügen.

Die neue Regierung will in ihrer Familienpolitik nun in Zukunft „rechtliche Verantwortung“ auch „jenseits von der Ehe oder Liebesbeziehungen“ ermöglichen. Noch nichts unternommen hat sie dagegen, dass der Anteil an unzulänglichen oder abwesenden Vätern stets höher ist als das Reservoir an Tanten, die diese ersetzen könnten. Auch in Zukunft bleibt so eine Tante daher wahrscheinlich ein eher seltenes Glück.

Hannah Schultes

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